1949 – Auferstanden aus Ruinen
1949 wird nach dem Krieg erstmals wieder „richtig“ Karneval gefeiert. Prinz Theo I. (Röhrig) bringt den Kölnern den Karneval wieder. Aufgrund seiner humorvollen und volkstümlichen Art erhält er schnell den Beinamen „Volksprinz“. Das Dreigestirn ist wieder rein männlich, nachdem von 1938 bis 1940 auf NS-Befehl die Jungfrau von Frauen dargestellt worden war.
Auf der feierlichen Prinzenproklation, die im festlich geschmückten Williamsbau in Anwesenheit der Spitzen der Behörden stattfand, hielt Theo I. eine Ansprache an seine närrischen Untertannen, die mit Bekanntgabe der neuen für die Narrendynastie geltenden Grundgesetze schloss. Der Prinz sagte:
„10 Jahre sind verflossen, seit das letzte Mal der traditionelle Rosenmontagszug durch die damals noch so schönen Straßen Kölns seinen Weg nahm und Hunderttausende voller Übermut in einen Taumel der Begeisterung und Freude versetzte.
Wenn nun nach 10 Jahren erstmalig wieder die Herrschaft des Prinzen Karneval errichtet wird so soll diese Dynastie, wie alles in unserem Vaterland, aus den Trümmern im alten Glanze entstehen. Angesichts der Wunden, die der schreckliche Krieg unserer geliebten Mutter Colonia zugefügt hat, haben wir ein Recht darauf, die menschen für einige Tage ihre Sorgen vergessen zu machen und ihnen Freunde und Frohsinn zu spenden. So rufe ich Euch zu: Öffnet weit Eure Herzen den goldenen Sonnenstrahlen zur Freude.
Wir wollen uns selbst, unserem alten Köln und unserem rheinischen Heimatland Frohsinn und Lebensfreude geben, und wir wollen damit die Hoffnung verbinden, dass das, was aus aufrichtigem Herzen kommt, auch zum Herzen geht. Darüber hinaus dürfen wir hoffen, dass auch die Welt unsere Sprache und Freunde versteht; denn frohe Menschen können keine Zwietracht säen und keinen Unfrieden stiften. Der Leitgedanke meiner Herschafft:
FREUDE UND FRIEDEN.
Im Bewusstsein unserer Tradition wollen wir der Zukunft mutig ins Auge schauen und aus dem Born der Freude wieder neuen Lebensmut und neue Lebenskraft schöpfen“.
Erstmals geht wieder ein Zug an Rosenmontag durch die Stadt. Den letzten Rosenmontagszug hatte es 1939 gegeben, dann kam der Krieg. 1948 zogen zwar schon die Roten Funken mit mehreren tausend Kindern singend über den Ring. Einen richtigen Zug gab es jedoch nicht. Für den 28. Februar 1949 kündigt man vorsichtig nur eine „Erweiterte Kappenfahrt“, einen Kostümumzug, an, wahrscheinlich um nicht zu hohe Erwartungen zu schüren. Denn die Mittel für den Zug sind bescheiden. Da die Innenstadt großteils noch nicht wieder begehbar ist, kreist er über Straßen weiter außerhalb. Aber es gibt schon wieder einen Zugleiter (Thomas Liessem) und der bringt immerhin 12 Wagen zusammen. Der Zug wird aber erstaunlich gut. Es gibt schließlich sogar Kamelle. Die Firma Stollwerck bekommt mit städtischer Unterstützung Zuckerscheine und kann damit für den Karneval produzieren. Vorneweg tragen Tünnes und Schäl ein Plakat mit dem kölschen Gedicht „Für ewigen Frieden: Hück sinn gestorve Zwietrach und Sorge. Kummer un Nut – All die sinn dut.“
Und auch eine Hymne hat der Karneval 1949: Am 11.11.1948 stellt der gelernte Bäcker Karl Berbuer, damals bereits bekannt durch den Hit „Heidewitzka, Herr Kapitän“, das „Trizonesien-Lied“ im Rundfunk vor. Den Titel hat er kurzfristig sogar noch ändern müssen. Eigentlich hieß das Werk „Bizonesien-Lied“. Doch kurz vor dem 11. November wird die britisch-amerikanische Bizone mit der französischen Zone zur „Trizone“ vereinigt. In den tollen Tagen erschallt das Lied aus unzähligen Kehlen und setzt seinen Siegeszug in ganz (West-)Deutschland fort. Das Ausland ist durchaus irritiert, verwundert aber bei oberflächlicher Betrachtung des Songs keineswegs: „Wir sind die Eingeborenen von Trizonesien, Hei-di-tschimmela, tschimmela-bumm, Wir haben Mägdelein mit feurig-wildem Wesien… Wir sind zwar keine Menschenfresser, doch wir küssen umso besser… Mein Lieber Freund, Die alten Zeiten sind vorbei, ob man da lacht, ob man da weint, Die Welt geht weiter, eins, zwei, drei…“ „Die Deutschen werden wieder frech“, lautet im Frühjahr 1949 deshalb eine Schlagzeile der altehrwürdigen britischen „Times“. Nur vier Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs wittert man auf der Insel einen aufkeimenden Revanchismus in Deutschland. Doch wer genau hinhört, der hört aus dem Lied deutlich heraus, was Berbuer damit tatsächlich will: Die Verballhornung des im Dritten Reich zur Religion erhobenen „Deutschen Wesens“ zum „Wesien“, das ist alles andere als Nazi-Ideologie. Mit Berbuers Menschenfressern, die umso besser küssen, hat sich sogar die Wissenschaft beschäftigt. In einer Untersuchung „Zur psychologischen Funktion des Karnevalsschlagers“ steht darüber geschrieben: „Der in Selbstironie verpackte Wunsch, die nationale Isolation zu überwinden“. Nun ja… Das Lied wird jedenfalls bis heute gesungen. Ein echter Evergreen.
Entschuttung des Gürzenich
Nach dem Krieg wurde im Jahre 1949 der erste offizielle Karneval nach altem Muster gefeiert. Einen echten Rosenmontagszug gab es zwar noch nicht, sondern „nur“ eine Kappenfahrt. Aber ansonsten hatte man aber wieder wie hergebracht gefeiert. Insbesondere hatte es endlich auch wieder ein echtes Dreigestirn gegeben. Im Monat März 1949 hatte Köln wieder sein alltägliches Gesicht angenommen. Der Karneval schien vergessen. Da, am 31. März 1949, ging plötzlich ein Raunen durch die Stadt. Einer sagte es dem anderen. Man lächelte und sagte kurz: „Aprilscherz!“. Denn in der „Kölnischen Rundschau“ las man folgenden Artikel:
Theo Röhrig las diesen „Aprilscherz“ und fasste sofort seinen Plan. Er telefonierte dem „Kölner Bauern“ und seiner „Jungfrau“ und am nächsten Morgen, am ersten April, fanden sich die drei pünktlich um 11.00 Uhr mit Schippe, Hacke und einem Lastwagen beim Gürzenich ein und begannen – unterstützt von Mitgliedern der KG Frohsinn – eine Entschuttungsaktion. Sie machten also aus einem Aprilscherz tatkräftigen Ernst.
Theo Röhrig selbst aber schreibt unter der Überschrift „Kölns gute Stube“ in der Mainummer der Zeitschrift für Kultur und Heimatpflege, „KULTURARBEIT“, u.a.:
„… darüber hinaus lachte alles, die Menschen, die, ohne hinter der Zeitungsnotiz einen Aprilscherz zu wittern, gekommen waren, die Reporter lachten, ganz Köln lachte, und ich hatte erreicht, was ich wollte: Das Gürzenichproblem in den Brennpunkt des öffentlichen Interesses zu rücken. Durch diesen Scherz wurde es offensichtlich, dass allen Bevölkerungsschichten Kölns der Wiederaufbau unserer guten, alten Stube mehr am Herzen liegt, als es die Stadtverwaltung und die Planer Kölns angenommen hatten. Täglich laufen nun Meldungen ein von Sportvereinen, Karnevalsgesellschaften und Hochschulen, von Firmen und Bürgern, die alle in freiwilligem Einsatz am Gürzenich „ens richtig oprühme wolle“. So vollzieht sich die Entschuttung des Gürzenichs unter der Narrenkappe und unter der Muskelkraft der Sportvereine, und ganz Köln nimmt daran Anteil. Heute weiß die Stadtverwaltung, dass sie mit dem Wiederaufbau des Gürzenichs, der einige Tage nach unserer Schippaktion auch beschlossen wurde, biemandenen weh tut, auch denen nicht, die noch in kümmerlichen Behausungen ihr Leben fristen müssen. Im Gegenteil, diese Menschen erkennen in dieser Aktion den unbändigen Lebenswillen ihrer Stadt und sind sich dessen bewusst, dass in einem solchen Lebenswillen auch sie nicht vergessen werden. Durch die freiwilligen Aktionen wird der moralische Untergrund zum Wiederaufbau des Gürzenichs gelegt, und jetzt ist es nur noch eine Frage von kurzer Zeit, bis wir mittels eines Bürgerausschusses und namhafter Spenden großer Industriefirmen eine Gürzenich-Lotterie in Köln veranstalten können, und Bausteine zum Wiederaufbau in Form von Urkunden an die führenden Wirtschaftskreise Kölns ausgeben werden. Wenn die Prophezeiungen des Bauausschusses in Erfüllung gehen, wir schon im nächsten Jahre ein Teil unserer ehrwürdigen alten Stube wieder erstellt sein und wird sich zum Symbol erheben für Bürgerfleiß und Bürgereinsatz. Als Prinz Karneval habe ich immer wieder zum Ausdruck gebracht, dass wir aus unserer Freude neue Kraft zum Wiederaufbau schöpfen wollen. Der Aufbau des Gürzenichs wird dies beweisen!“
Mein Patenonkel mit dem LKW meines Vaters