2015 – Der Streit um den Charlie-Hebdo-Wagen
Am 7. Januar 2015 fand ein islamistisch motivierter Terroranschlag auf die Satirezeitschrift Charlie Hebdo in Paris statt. Dies sollte auch Thema eines Wagens im Kölner Rosenmontagszug 2015 sein. Das geplante Motiv: Ein Jeck stopft einem Terroristen einen Buntstift in den Waffenlauf. So wollte der Kölner Karneval eigentlich für den Schutz der Meinungsfreiheit werben. Der Entwurf hatte sich bei einer Abstimmung auf Facebook durchgesetzt. Er erhielt fast 2500 von mehr als 7000 Stimmen, die für insgesamt 14 Vorschläge abgegeben worden waren. Doch kurz vor dem Zug stoppte das Festkomitee den Wagenbau. Begründung: „Die Kölner Presse hat durch ihre Berichte sehr viele Ängste geschürt. In den Meldungen stand zum Beispiel, dass die Polizei mit SEK-Kommandos unsere Wagen begleiten wird“. Was man nie vorgehabt habe, wie auch die Polizei sagt. Im Karneval sei es wichtig, dass jeder ohne Sorgen fröhlich feiern könne. Wir sollen keinen Persiflagewagen, der die leichte Art des Karnevals einschränkt, erklärte das Festkomitee. Deshalb habe man entschieden, den Bau des Wagens zu stoppen und ihn nicht im Rosenmontagszug mitfahren zu lassen.
Dadurch hatte die Angst gewonnen, haben diejenigen gesiegt, die zeigen wollten, dass sie bestimmen, was lustig ist und was nicht. „Unkölsche Feigheit“ hieß es deshalb allenthalben. In Düsseldorf spottete deren oberster Karnevalswagendesigner Jacques Tilly.
„Köln liefert ein Beispiel für vorauseilenden Gehorsam und für Selbstzensur“, kommentiert der Südkurier. Dabei sei der abgesetzte Wagen noch harmlos: „Er verhöhnt weder das islamische Gottesbild noch den Propheten noch irgendwelche Jungfrauen. Die Karosse sollte einen unschädlich gemachten Dschihadisten zeigen. Der Bleistift ist stärker als eine Knarre: ein herrliches Bild für die Kraft des Witzes.“ Für die Zukunft des Karnevals sei die Entscheidung ein schlechtes Zeichen: „Das Kölner Komitee ist zu früh eingeknickt. Wenn es sich das nicht mehr traut, dann hat der politische Karneval seine besten Zeiten hinter sich. Mit der Schere im Kopf ist nicht gut lachen.“ Noch deutlichere Worte richtete die Neue Ruhr/Neue Rhein-Zeitung an das Festkomittee: „Zieht die Narrenkappe ab. Ihr seid keine Narren. Ihr seid allenfalls Clowns.“ Auch die Neue Westfälische äußert sich enttäuscht über die Entscheidung aus Köln: „Ein deutlicheres Einknicken vor der Angst lässt sich kaum denken.“ Der Wagenentwurf transportiere nicht den Hauch einer Kritik am Islam oder gar Mohammed: „Seine Aussage war so klar wie selbstverständlich: Wir lassen uns von Terroristen nicht die Freiheit nehmen, unsere Meinung zu sagen.“ Dass eine für „unser demokratisches Selbstverständnis so grundlegende Aussage“ für das „karnevaleske Wohlgefühl“ geopfert werde, sei ein Armutszeugnis. Dies sei, so die Zeitung weiter, nicht immer so gewesen: „Früher hatte Karneval auch was zu tun mit Kritik an herrschenden Zuständen. Er hat Politiker durch den Kakao gezogen, das Foltergefängnis Guantanamo angeprangert, die Lage in Libyen thematisiert. Sich mit den Mächtigen anzulegen gehört zum Gründungsmythos des jecken Treibens. Nun haben die Jecken offenbar nur noch mächtig Angst ums unbehelligte Schunkeln.“
Kritik am Vorgehen des Kölner Festkomitees übte auch der nordrhein-westfälische Grünen-Chef Sven Lehmann: „Ich habe für das Motiv gestimmt“, so Lehmann. „Wie kann man einen so breiten Beteiligungsprozess machen und dann den Wagen einfach zurückziehen? Wenn Angst den Karneval überkommt, hat der Terror gewonnen.“ äußerte er verständnislos.
Im Zug fuhr letztlich doch ein Wagen zum Thema mit: Ein „entschärfter“ Wagen – überraschend, denn angekündigt hatte diesen niemand. Darauf zu sehen war ein abgeholzter Stiftewald, in dessen Mitte ein Clown einen neuen Buntstift als „kleines Pflänzchen“ der Narrenfreiheit wachsen ließ. Es ist derselbe Clown, der eigentlich mit seinem Stift das Gewehr eines Terroristen verstopfen sollte.